Georg Soanca-Pollak, Himmel (2007)

 

 

Himmel - ein Begriff für grenzenlose Weite, für eine visuelle und imaginäre Projektionsfläche, einen abstrakten jenseitigen Ort, ein Begriff, der den Tod mit dem Leben verknüpft.

Georg Soanca-Pollaks so betitelte, 2007 entstandene Arbeit steht im Kontext seiner künstlerischen Suche nach Formen des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus, Bildfindungen, die sowohl mit den Erinnerungen Betroffener korrespondieren können als auch eine Verbindung zu kommenden Generationen halten, sie emotional einbeziehen und Impulse für einen Austausch setzen.

Während frühere Arbeiten G. Soanca-Pollaks, wie der Gang der Erinnerung (2006) und Bilder der Erinnerung (2005), das Gedenken der ermordeten Münchener Juden an durch Namen, Fotos und Fragmente ihrer Lebensgeschichten präsente Individuen binden und sie aus der Anonymität abstrakter Zahlen auftauchen lassen, zeigt Himmel Filmaufnahmen vom Gelände des Konzentrationslagers Dachau. Die Projektion setzt sich aus 5 Einstellungen zusammen, jeweils 1-minütige Aufzeichnungen, mittels Slowmotion auf je 18 Minuten gedehnt. Durch die extrem verlangsamte Wiedergabe entstehen Verfremdungen, die durch den Weichzeichner noch verstärkt werden. So verschwimmen beispielsweise die Konturen von Kieselsteinen zu einer Farbfläche differenzierter Grautöne, über die die Kamera zunächst wie orientierungslos, dann suchend fährt. Den Blick hebend lässt sie schlanke Bäume verschwommen sichtbar werden, sich zu einer Allee formieren, an der die Kamera entlang schwenkt.

Drei dieser Sequenzen sind von einem festen Standort aus aufgenommen. Die stetige, angsame Schwenkbewegung lässt neben den landschaftlichen Elementen wie beiläufig auch architektonische Formen vorüberziehen: Subtil setzt sich über das nur flüchtig Gesehene eine Reflexion in Gang. Im Verlauf lassen sich die einzelnen, zwar nur schemenhaft erkennbaren und ausschnitthaft gezeigten Gebäudeteile - ein Wachturm, eine lang gestreckte, flache Baracke, Dachgiebel, ein massiver Schornstein, Zaun und Zaunpfähle - als typische Bestandteile der auf Funktionalität und Vernichtung ausgerichteten nationalsozialistischen Lagerarchitektur identifizieren. Das horizontal und vertikal strukturierte und den Blick solchermaßen begrenzende Bild, in dem nun auch die gradlinige Setzung der Baumallee nicht mehr als Landschaftselement, sondern als Detail der Lagerkonzeption wahrgenommen wird, kontrastiert der immer wieder gewährte Ausblick auf die offene Weite eines blauen Himmels.

So wie die permanente Bewegung der Kamera kontinuierlich Objekte auftauchen und wieder verschwinden lässt, entziehen auch Verfremdungen und Uneindeutigkeiten als Folge von Slowmotion und Weichzeichner die Bildgegenstände eindimensionaler Rezipierbarkeit und fordern von den Betrachtern einen ihre Wahrnehmung ergänzenden Einbezug eigener Erinnerungs- oder Vorstellungsbilder.

Dieser offensichtlich ausschnitthaft erfassende Kamerablick lässt keinen Zweifel an der Subjektivität des Mediums; die zwei verbleibenden Einstellungen der Arbeit rücken nun auch den Künstler selbst ins Zentrum, indem die Kamera seinen Schatten bzw. seine transparent vor Bäume und Himmel gelegte Silhouette zunächst abtastet, dann, an den Umriss geheftet, seinen Schritten folgt. Zwischendurch kippt die Figur, als ob sie den Halt verlieren würde, aus der Vertikalen um 90° in die Horizontale und scheint damit etwas von der an Ort und Zeit gekoppelten Gefährdung, Unsicherheit und Verletzbarkeit der Existenz des Individuums zu vermitteln.

Der Autorität und der sich auch in den architektonischen Überresten noch vermittelnden Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus setzt Himmel eine offene, fragmentarische Bildsprache entgegen - einen auch von keinem Angebot an Hintergrundinformationen verstellten Freiraum.

Statt Erinnerung in Anschaulichkeit mit trügerischem Objektivitätsanspruch gerinnen zu assen, sie als solche adaptier- und verfügbar zu halten und mit diesen Konstrukten das persönliche Gedächtnis der Betrachter zu überlagern, initiiert die Arbeit einen Vorgang, der Vorstellungen und Assoziationen hervor- bzw. Erinnerungen wachruft. Ihre Vernetzung mit den Filmaufnahmen kann individuelle Bilder freisetzen. Das Auftauchen im Bewusstsein und das wieder Entweichen, das nicht Festhalten können oder wollen wird dabei ebenso thematisiert, wie die Unbeständigkeit und das Unsystematische der Erinnerung. Georg Soanca-Pollacks Kunstwerke beinhalten und ermöglichen immer beides: die Annäherung und ein sich Vergegenwärtigen, aber auch das Loslassen und wieder Distanz nehmen. Es ist auch diese Verfahrensweisen des Gedächtnisses selbst widerspiegelnde Dialektik, die einen Freiraum entstehen lässt, der die Reflexion eigener Emotionen zulässt.

Der für die kollektive und individuelle Geschichte bedeutsame Zeitfaktor bestimmt auch die künstlerische Umsetzung der Arbeit. Film als Medium der Aufzeichnung, Speicherung und Archivierung sowie der Wiedergabe und Dokumentation ist an den linearen Zeitlauf, die Vergänglichkeit gebunden. Im Hebräischen steht die Zahl 18 für das Leben. Die zeitmanipulativen filmischen Fähigkeiten der Be- und Entschleunigung erlauben, eine in Echtzeit 1 Minute währende Aufnahme auf eine Projektionsdauer von 18 Minuten zu verlangsamen.

 

Isabelle Verreet