Bilder der Erinnerung                      

 

Standarisierte, graue Passepartouts – alle in der gleichen Größe, aufgereiht für den Betrachter, der hier aktiv werden muss. Georg Soanca-Pollak wählt diese spröde Präsentation  von schwarz-weiß kopierten Fotos in grauen Pappen, die der Betrachter zunächst anheben muss, um das ganze Bild zu sehen.  Diese Fotos – allesamt Portraits - stammen aus dem Buch „Biografisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945“, das 2003 vom Stadtarchiv München herausgegeben wurde. Hier sind die jüdischen Bewohner Münchens mit allen persönlichen Daten zu Familie, Beruf und Wohnort erfasst.  Georg Soanca-Pollak greift Einzelpersonen heraus, die er -  zunächst als anonyme Person – dem Betrachter gegenüberstellt. Stellvertretend für das Schicksal Tausender rückt er so einzelne Personen in den Blickpunkt. Gleichsam ist die Momentaufnahme der Fotografie nur ein Bruchteil, ein winziges Stück aus dem Leben der Menschen, die dadurch für kurze Zeit ins Bewusstsein zurückkehren. Die „hard facts“ über die einzelnen Personen aus dem Buch notiert der Künstler auf der Rückseite der Kopie und vermeidet so jegliche Rückschlüsse und Interpretationen.

 

Die Auseinandersetzung mit dem Menschen, das Schicksal des Einzelnen verborgen hinter der Anonymität, stellvertretend für das Schicksal von vielen, das ist es, was den Künstler interessiert und mit dem er den Betrachter konfrontieren will.

 

1995 hat Soanca-Pollak begonnen, sich auf diese Art und Weise mit dem jüdischen Leben auseinander zusetzen. In seinen ersten Arbeiten stammen die Fotos aus dem Besitz des jüdischen Museums in Fürth. Fotos, aus dem Besitz jüdischer Familien, aus den Fotoalben von 1900 – 1930, aus den Konzentrationslagern.  Georg Soanca-Pollak behandelt alle Fotos gleich und bindet sie in seine Systematik ein. Seine Arbeitsweise ist diametral zu der eines Wissenschaftlers, der sich das Leben Einzelner herausgreift und exemplarisch untersucht. Vielmehr versteht er seine Arbeit rein dokumentarisch, er betreibt eine Art Spurensicherung.

 

Ausgehend vom Augenblick, den das Foto festhält, wird hier das Leben eines Menschen in Erinnerung gerufen. Hinter einer weichen, grauen Pappe verborgen, die einen Kontrast zu der oft kleinen Schwarzweißkopie bildet, sucht sich der Betrachter einzelne Fotos heraus. Die Neugier wird geweckt, es ist das Erlebnis „hinter etwas zu schauen“ und zu berühren, mehr über die abgebildete Person zu erfahren. Der Vorgang des Heraussuchens und Zurücklegens weckt Assoziationen an die jüdische Tradition, auf die Gräber der Toten Steine zu legen, um die Erinnerung aufrecht zu halten. So wird die Berührung des Werkes zur Geste und zugleich zum sinnlichen Erlebnis für den Betrachter. Die Menschen auf den Fotos sind durch ihr Abbild lebendig, die Erinnerung wird festgehalten. Der Betrachter nimmt für einen Moment teil am Leben einer Person, losgelöst aus der anonymen Masse,  der Künstler wird so zum Focus, der Einzelaspekte herausgreift und sichtbar macht.

 

Betrachtet man die Arbeiten, so fällt die „einfache“ Erscheinung besonders auf: Georg Soanca-Pollak entscheidet sich bewusst für die Wahl gebräuchlicher, standardisierter Materialien und Arbeitsmittel. Einfaches Kopierpapier, ein gewöhnlicher Schwarzweißkopierer und eine graue Normpappe bringen auch in der Form zum Ausdruck, dass der Künstler seine persönliche Handschrift zurücknehmen will und das Bild an sich in den Vordergrund stellt. Der Inhalt und die Bilddaussage sind wesentlich, aus diesem Ansatz heraus resultieren die künstlerischen Mittel.

 

Georg Soanca-Pollak ist es wichtig, den Menschen Respekt entgegenzubringen und sich dafür einzusetzen, dass der einzelne und sein Schicksal und somit die Geschichte in unserem Gedächtnis bleibt. Gleichzeitig ruft er die jüdische Kultur ins Gedächtnis, die ganz eng mit der Geschichte und dem Leben jedes einzelnen von uns verbunden ist. Anders als die jüdische Kultur, die vor allem mit Schrift als kulturellem Gedächtnis verbunden ist, ist es hier das Bild, das die Erinnerung aufrecht erhält. Die Idee des Konservierens steht im Vordergrund. Die Intention ist es nicht, didaktisch auf den Völkermord während des Dritten Reiches hinzuweisen, sondern den Menschen auf den Fotos nahe kommen. Dies ist sich Erinnern und gleichzeitig auch Abschied nehmen.

 

Die kleinen Portraits fesseln. Wir fragen uns, wie das Leben des Einzelnen zum Zeitpunkt der Aufnahme war und noch dringlicher scheint uns die Frage nach dem Moment danach. Manche nehmen uns so gefangen, dass wir ein zweites Mal zum gleichen Passepartout greifen und wir geben uns der Frage hin, wer dieser Mensch auf dem Foto ist, woher er kommt und was mit ihm passiert ist. Georg Soanca-Pollaks Ansatz ist ein sehr persönlicher. Er lädt den Betrachter ein, seinem Weg zu folgen. Die eindringliche Präsenz der Fotos weckt Assoziationen an Schicksale, wie wir sie in unserer Gesellschaft finden und bringen uns zum Nachdenken.

 

Georg Soanca-Pollak versteht sein Werk als „work in progress“. Der nächste Schritt wird vielleicht die Auseinandersetzung mit einem Einzelschicksal sein, er sieht hier verschiedene Konzepte, dreht sich doch alles für ihn um die Auseinandersetzung mit dem Thema Mensch.

Bettina Högner